Lebendige Lippe

 

 Sylvia Junghardt  I  Lippeverband 

Ökologie und Renaturierung der Lippe und ihrer Auen

Die Lippe hat viele Gesichter

Die Lippe als längster Fluss in Nordrhein-Westfalen hat vielfältige Gesichter: Den Römern war sie Handelsstraße und Korridor für Truppenbewegungen, in späteren Zeiten ging die Bedeutung für den Warentransport angesichts schwieriger Bedingungen zurück und wurde vor rund hundert Jahren durch die parallel verlaufenden Schifffahrtskanäle übernommen. Als kulturelles Band zwischen dem Rheinland und Westfalen hat die Lippe bis heute eine Bedeutung, eine einheitlich geprägte Region hat sich daraus allerdings nicht entwickelt.

Wasserwirtschaftlich ist die Lippe seit Jahrzehnten vor allem ein „Arbeitstier“ gewesen, ein Fluss, der Kühlwasser für Kraftwerke, Überschusswasser für die Speisung der Schifffahrtskanäle und Energie für den Betrieb von Wasserkraftwerken liefert. Darüber hinaus wurde die Lippe zum Teil begradigt und über weite Strecken durch Wasserbausteine befestigt, um die Flussufer den Anforderungen von benachbarter Infrastruktur und landwirtschaftlicher Nutzung anzupassen. Auch der Bergbau an der Lippe hat den Fluss nachhaltig geprägt. Hohe Flussdeiche zum Hochwasserschutz wie in Dorsten sind die auffälligste Folge der durch den Steinkohleabbau verursachten Bodensenkungen

Einzugsgebiet der Lippe und Grenze Lippeverband (schwarz)

Die Lippe in Dorsten

So ist der Abschnitt in Dorsten als Degradationsabschnitt mit Deichen innerhalb städtischer Bebauung zu bezeichnen. Renaturierungsmaßnahmen sind hier schlecht möglich. Allerdings wird darauf geachtet, dass sich die Deiche und das Vorland ökologisch möglichst vorteilhaft entwickeln, dort wo Flächen im Eigentum des Lippeverbandes liegen. Es erfolgt auf großen Strecken eine extensive Pflege bzw. Nutzung durch eine Schafbeweidung, je nach Aufwuchs 1-2-mal im Jahr.

Uferentfesselung Hammbach-Mündung

 

Uferentfesselung Hervest

Verbesserungsmaßnahmen, d.h. Maßnahmen zur Verbesserung der wasserwirtschaftlich-ökologischen Situation gibt es im Raum Dorsten außerhalb der Deichstrecken. In erster Linie sind hier die abschnittsweise durchgeführten Uferentfesselungen zu nennen. Insbesondere unterhalb der Hammbach-Einmündung sind solche Maßnahmen erfolgt. Die dahinter ins Inland hinein reichenden Flächen Richtung Kläranlage Dorsten werden mit einer Extensivbeweidung ökologisch aufgewertet. Die Einmündung des Hammbaches selbst wurde mit mehreren Kurven naturnah gestaltet. Die frühere Hammbachmündung, die noch mit Betonsohlschalen verkleidet war, wurde verfüllt. An dieser Stelle ist der Einstieg in die Dorstener Kurbelfähre – die Fähre Baldur, angelegt worden. Oberhalb der Deichstrecke in Hervest sind größere Planungen zur Umgestaltung der Lippe aufgenommen worden, die (erst) in Zukunft wirksam werden sollen. Vorgezogen wurden auch hier längere Uferentfesselungen oberhalb und unterhalb des Hervester Schwalls umgesetzt.

Alle diese Maßnahmen sind der Teil der Umsetzungen, die früher unter dem Begriff Lippeauenprogramm gelaufen sind und heute unter dem Namen Programm Lebendige Lippe im Sinne der EU-Wasserrahmenrichtlinie erfolgen.

Hammbach-Mündung über die Jahre 1950 – 1953 – 2003 – 2005

Exkurs Wasserrahmenrichtlinie

Mit der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (EU-WRRL) wird nicht nur ein „guter Zustand“ für alle Gewässer in den Mitgliedsstaaten der EU bis zum Jahr 2027 gefordert. Seit Inkrafttreten der Richtlinie im Jahr 2000 ist auch die ganzheitliche Betrachtung von Fluss-Einzugsgebieten Allgemeingut geworden. Insgesamt wird ein möglichst naturnaher Zustand angestrebt.

Warum ist ein naturnaher Zustand der Lippe wichtig? Ist er Ziel an sich – oder ist er Mittel zum Zweck? Er ist beides! Die EU-Wasserrahmenrichtlinie zielt auf den guten Zustand des Gewässers im Sinne naturnaher Strukturen, einer eigendynamischen Entwicklung, der Vernetzung von Fluss und Aue sowie der Schaffung von zusätzlichen Retentionsräumen zur Dämpfung von Hochwasserspitzen. Zugleich wird auf diesem Weg aber auch der Fluss als artenreicher Lebensraum erheblich verbessert. Naturnahe Gewässerstrukturen schaffen ideale Bedingungen für viele Tier- und Pflanzenarten im und am Wasser. Durch die Schaffung von Auen, die mit dem Gewässer eng vernetzt sind und schon bei leicht erhöhten Wasserständen überflutet werden, wird ein funktionierendes Fluss-Auen-Ökosystem besonders gefördert: Wenn sich der Fluss wieder in seine Aue ausdehnen kann und wechselfeuchte Uferbereiche entstehen, siedeln sich dort standorttypische Tier- und Pflanzenarten an, die auf solche Lebensräume angewiesen sind. Auch einige Fischarten profitieren von häufigeren Überflutungen und von durchgängig angebundenen Nebenbächen.

Es ist klar, dass es viel Zeit erfordert hat und noch erfordern wird, einen solchen möglichst naturnahen Zustand der Lippe auf möglichst großen Strecken (wieder-)herzustellen. Bei Maßnahmen ist insbesondere auch auf die Nutzungen und die heutigen Nutzer wie die Landwirtschaft zu achten.

Der Lippeverband

Die Maßnahmen und Planungen an der Lippe werden vom Lippeverband durchgeführt. Er ist für die Gewässerunterhaltung und für die Renaturierung der Lippe von Wesel bis Lippborg (im Kreis Soest) zuständig ist. Da die Lippe eines von vier Gewässern I. Ordnung in NRW ist, gehört sie dem Land, der Lippeverband handelt hier im Auftrag und mit Finanzierung des Landes NRW.

Die ‚Deichkrone‘

Die Deichkrone wurde 2015 als Aussichtplattform zum Erleben der Lippe und ihrer Aue errichtet. Sie enthält die „PolderKlicks“, ein Kunstprojekt, das über QR-Codes und eine entsprechende Internetseite den Blick hinter die Kulissen von Fluss und Stadt(-teil) erlaubt. Die Lese-Lounge soll noch viel mehr als die Polderklicks einen Beitrag zur Aufwertung des Programmgebietes „Wir machen MITte“ in der Dorstener Innenstadt leisten. Die Lippe-Lese-Lounge ist eine digitale Freiluftbibliothek mit Sitzmöglichkeiten, wo sich Radfahrer, Fußgänger und andere Interessierte aus Nah und Fern aufhalten und lesen können.