Die Brücke

Autobiografische Texte vom Leben an der Lippe

Werner Markus

Die Brücke

Ich weiß nicht mehr, wer von uns auf die verrückte Idee kam, eine Brücke über die Lippe zu bauen. Es ist schon so lange her, dass ich nicht einmal genau sagen kann, wer alles dabei war. Wir waren eine Jugendgruppe, die sich einmal wöchentlich im Jugendheim unserer Gemeinde zur Gruppenstunde traf. Die Leitung hatte ein Gruppenführer, der einige Jahre älter war als wir. Es wurden Geschichten von Jungen vorgelesen, die sich heldenhaft gegen die Nazis zur Wehr setzten. Die Geschichten kannte ich schon, denn meine Tante Änne hatte mich mit „Spur“- Büchern eingedeckt, welche dieses Thema ausführlich behandelten. Es wurden Fahrtenlieder gesungen und Gesellschaftsspiele gemacht. Mit einem Wort: „Es war stinklangweilig.“

 Besser waren da schon die Geländespiele. Unser Lieblingsspiel war die „Schnitzeljagd.“ Stundenlang tobten wir durch die Wälder der Umgebung und irgendwann trafen wir auf die Lippe. Wir setzten uns ans Ufer und sahen fasziniert auf das schnell dahin fließende Wasser. Das Hochwasser der vergangenen Woche war schon wieder fast zurückgegangen. Die Stromschnellen unter der Lippebrücke waren wieder zu sehen. „Das sind keine Felsen, sondern die Trümmer der alten Brücke, welche in den letzten Kriegstagen gesprengt wurde“, erzählte unser Gruppenführer.

Während wir im Gras lagen und uns die Sonne auf den Bauch scheinen ließen, kam die Idee auf, eine eigene Lippebrücke zu bauen.  

 „Spinner!“ Das war zunächst die fast einstimmige Reaktion. Doch so nach und nach bekam die Idee Freunde.  Es wurde überlegt und geplant, aber ein zündender Funke sprang noch nicht über.

Die nächste Gruppenstunde fand wegen des schlechten Wetters im Jugendheim statt. Das einzige Gesprächsthema war unsere Brücke. Weil wir inzwischen Zeit zum Überlegen hatten, kamen einige gute Vorschläge auf den Tisch. Es kam nur eine Holzkonstruktion infrage, denn im Auenwald gab es viele Bäume, die beim letzten Sturm umgestürzt waren.

Deren Äste konnten wir gut gebrauchen.

Wir brauchten natürlich auch Werkzeug. Ein Beil, einen großen Hammer, eine Säge und Nägel. Ein Seil wäre auch nicht schlecht, meinte Klaus und versprach eines zu „besorgen!“  Eine Woche später trafen wir uns an der

Lippe wieder. Zuerst wurde das Material begutachte. Unser Gruppenführer Berni hatte eine Säge mitgebracht, Heinz Hammer und Nägel. Klaus brachte eine Nagelneue Wäscheleine mit, die er seiner Mutter stibitzt hatte. „Mama sucht schon den ganzen Tag ihre neue Wäscheleine und kann sie nicht finden. Jetzt glaubt sie, dass sie die Leine an der Drogeriemarktkasse hat liegen lassen,“ schmunzelte er. “Naja, so ganz in Ordnung ist da ja nicht. Das war eigentlich Diebstahl,“ meinte Berni. Wir Jungs sahen das anders und sprachen von einer „Eigentumsverlagerung“! Mein Vater war Schreiner. In seinem Werkzeugschrank lagen drei Beile. Ich fragte mich, „was will er mit drei Beilen, er hat doch nur zwei Hände?“ Also hatten wir auch ein Beil.

Es ging los! Umgestürzte Bäume wurden gesucht und die Äste auf ihre Tauglichkeit geprüft. Zum Schluss hatten wir sechs schöne, dicke Äste, die wir uns passend absägten und an einem Ende mit dem Beil anspitzten. Die ersten zwei „Brückenpfeiler“ ließen dich gut in den schlammigen Grund einschlagen. Die nächsten Pfeiler konnten wir nicht mehr vom Ufer aus erreichen.  Also: Klamotten aus und in Unterhose ins Wasser.

Überaschenderweise war das Wasser nicht sehr tief. Das Lippewasser war damals auch so trübe, dass der Grund nicht zu sehen war. So konnten wir die weiteren Pfeiler problemlos einrammen. Zum Schluss ragte unsere Brücke fast drei Meter weit ins Wasser. Mit etwas dünneren Ästen wurden die rechten mit den linken Pfeilern verbunden. Hierbei kam die Wäscheleine zum Einsatz. Nägel ließen sich nur sehr schwer einschlagen. Mit langen Ästen wurde die „Fahrbahn gelegt und mit Grassoden bedeckt. Stolz betrachteten wir unser Bauwerk liefen darauf bis zum Ende. Die Brücke hielt!

Dann kam ein paar Tage später wieder ein Hochwasser. Es war ungewöhnlich hoch und es dauerte lange bis sich der Wasserstand wieder normalisierte. Da waren von unserem Bauwerk nur noch die Pfeiler zu sehen. Die Fahrbahn hatte die Lippe mitgenommen. Noch einmal von Vorn wollten wir nicht mehr anfangen, denn die ganze Lippe zu überqueren hätten  wir eh nicht geschafft.         

 Aber unsere Pfeiler waren noch viele Jahre später zu sehen. Immer, wenn ich die Straßenbrücke überquere, denke ich an unser Abenteuer zurück. Heute ist unsere Baustelle zugewachsen. Es sieht aus, als hätten unsere Pfeiler Wurzeln geschlagen und wären zu Bäumen geworden.

Rolf Mross

Tour de Lippe

Als Hasseler Bürger – und damit zu Gelsenkirchen gehörend – hat es unsere in den 50iger Jahren junge Familie, bestehend aus Mutter, Vater, meinem kleinen Bruder und mir nie in Richtung Süden zur Emscher-Kloake gezogen. Wir marschierten immer in Richtung Polsum und darüber hinaus. So ist es uns mehrmals gelungen zu Fuß bis zum Lippetal vorzudringen. Manchmal lagerten wir mit Kartoffelsalat und Früchtetee am Kanal, der bei uns nur Lippe-Seiten-Kanal hieß. Später, als wir alle Fahrräder besaßen, fuhren wir immer wieder zu Baggerseen rund um Dorsten.

Auch danach habe ich alleine oder mit meinem Bruder diese Tradition mit dem Fahrrad fortgesetzt. Besonders gerne erinnere ich mich aber an eine Rundtour von Hassel über Marl-Sinsen, Haltern, Dorsten-Lembeck, Dorsten-Zentrum und zurück. Das erste Mal war es eine Wandertour mit dem Rucksack zu Ostern 1960. Mit meinem 12-jährigen Bruder fuhr ich bis Marl-Sinsen mit dem Bus. Dann ging es zu Fuß weiter. Die erste Nacht verbrachten wir in der Jugendherberge Oer-Erkenschwick am Haard-Rand. Am nächsten Tag ging es durch die sandige Haard zur Jugendherberge nach Haltern am See. Der dritte Tag führte uns immer parallel zur Lippe zur Jugendherberge Herrlichkeit Lembeck. Von dort aus war es nicht mehr weit bis zur Innenstadt von Dorsten. Den Rest nach Hassel erledigten wir wieder mit dem Bus.

Ein paar Jahre später leitete ich eine Jugendgruppe in Buer. Meine Aufgabe nannte man damals jugendpflegerische Arbeit. Ich machte die jungen Menschen, die kaum jünger waren als ich, u.a. mit deutscher Literatur sowohl aus der Vor- wie Nachkriegszeit als auch mit klassischer Musik vertraut. Aber die Gruppe hatte auch mal den Drang ins Grüne. Was lag da näher, als sich in Richtung Lippe aufzumachen. Mit mehr oder weniger klapprigen Rädern gings über die freien Ostertage los. Die Wegstrecke musste ich zwar etwas abwandeln um nicht im Sand stecken zu bleiben. Aber als Übernachtung dienten wieder die bekannten Jugendherbergen Oer-Erkenschwick, Haltern am See und Herrlichkeit Lembeck. Das Dokument mit dem ich seinerzeit mit der Gruppe Aufnahme fand hieß tatsächlich noch „Führer-Ausweis“.

Einige Jahre gingen ins Land. Mein Sohn war inzwischen 11 Jahre alt geworden. Und wieder war eine Wanderung über Ostern fällig. Bei dieser Wanderung nahmen wir den gleichen Weg und die gleichen Herbergen wie 19 Jahre zuvor mit meinem Bruder. Nun bleibt mir aber für die Zukunft nur die Erinnerung. Das liegt nicht nur daran, dass mir inzwischen der Weg auf der Höhe der Lippe zu beschwerlich wäre. Leider existieren die Jugendherbergen Oer-Erkenschwick und Herrlichkeit Lembeck nicht mehr. Nur die Herberge in Haltern am See erstrahlt im neuen Glanz. Immerhin waren meine jetzigen Nachbarn lange Jahre die Herbergseltern in Lembeck. Ich bin nämlich 1986 mit meiner Frau nach Dorsten gezogen. Die Lippe hat uns gerufen und wir genossen oft Laufen und Radfahren auf den Lippe-Deichen. 

Werner Markus

Rübenkraut

Haben sie schon einmal hausgemachtes Rübenkraut auf frischem, noch warmem Bauernbrot aus einem Backhaus probiert?

Nein? Aber ich! Und diesen Geschmack, den Duft – ich werde ihn nie vergessen. In der letzten Woche hatte ich plötzlich den Rübenkrautduft wieder in der Nase.

 Ich war in Lembeck unterwegs, natürlich mit der Kamera.

Nicht ganz zufällig fuhr ich mit dem Auto an dem Bauernhof vorbei, auf dem meine Mutter während des Krieges gearbeitet hat. Ich hielt an und rollte langsam zum Tor zurück, stieg aus und machte ein paar Fotos.

 Meine Mutter hat sich mit den Bauersleuten, besonders mit den Kindern, sehr gut verstanden. So kam es, dass meine Mutter mit mir, meinem Vater und später auch mit meiner Schwester, mehrmals im Jahr mit den Fahrrädern nach Lembeck fuhren. Allein der Weg dorthin war für mich schon ein kleines Abenteuer. Wir fuhren durch die Wenger Höfe in Richtung Wulfen. Dabei überquerten wir den Wienbach. Wenn das Wetter schön war, durfte ich meine Schuhe ausziehen und einmal kurz durch den Bach waten. Aber wirklich nur kurz, denn ein weiter Weg lag noch vor uns. In Wulfen gab es eine Werkstatt, in der Trecker und Landmaschinen verkauft und repariert wurden. Die Trecker haben mich so fasziniert, dass wir hier immer anhalten mussten, damit ich mir die Fahrzeuge ansehen konnte. Weiter ging es über den Napoleonsweg in Richtung Norden. Wulfen Barkenberg existierte zu diesem Zeitpunkt nur auf dem Reißbrett der Städteplaner. Es war noch freies Feld mit Äckern und Wiesen.  Der Napoleonsweg führte von der Bundesstraße bis zum Forsthaus Lembeck. Wir bogen auf einen Feldweg (Pättken) ab, der direkt auf unser Ziel, dem Bauernhof führte.

 Wir wurden schon erwartet. Die Gänse meldeten uns lautstark an und die Schweine liefen uns freudig entgegen. Nur der bissige Hofhund spielte in seinem Zwinger verrückt. Nach der herzlichen Begrüßung gingen unsere Gastgeber wieder an ihre Arbeit. Meine Mutter wusste was zu tun war und ging der Bäuerin zur Hand. Mein Vater ging mit dem Bauern in die Scheune, um irgendwelche Reparaturen auszuführen. Und ich machte mich auf die Suche nach Jüppken. Eigentlich hieß er Josef, aber so nannte ihn niemand. Obwohl Jüppken einige Jahre älter war als ich, war er ein toller Spielkamerad. Leider war er durch ein Down-Syndrom stark beeinträchtigt und litt an mehreren Erkrankungen, was mir aber damals so gar nicht aufgefallen war. 

 Jüppken kannte die besten Verstecke auf dem Hof. Wir suchten sie alle auf. Kaum zu glauben, wie viele es davon gab. Jüppken klärte mich über jedes Versteck auf:  Wann er sich dort versteckte und warum ausgerechnet hier. „Hier draff ick nich hen, hätt de Mooder verboden! Hier draff ick ook nich henn, hätt de Vaader verboden. Un hier draff ick hen, go ick aber nich. Dat Lock döch nix!“  So verbrachten wir zwei den Nachmittag, bis die Bäuerin uns zum „Koffie drinken“ holte.

 In der großen Küche, die nur durch eine Tür vom Stall mit den Tieren getrennt war, saßen wir an einem riesigen Tisch. Vor uns stand eine Tasse mit Muckefuck (Malzkaffee), die Erwachsenen bekamen richtigen Bohnenkaffee.  Die Bäuerin hielt einen großen Laib Brot im Arm und schnitt mit dem Brotmesser für jeden zunächst eine Scheibe ab. Das Brot war frisch gebacken. Dafür stand auf dem Hof ein gemauertes Backhaus, welches mit Reisig angeheizt wurde. Das Brot strömte einen Duft aus, der uns noch hungriger machte, als wir ohnehin schon waren. Vor mir lag nun diese duftende Brotscheibe und ich bestrich sie mit Butter. Dann kamen zwei Töpfe auf den Tisch: Marmelade und Rübenkraut. Rübenkraut kannte ich noch nicht und fragte meine Mutter ganz leise: „Mama, was ist das?“ „Das ist Rübenkraut, hausgemacht. Ich mag es aber nicht, weil es während des Krieges nicht anderes gab als Rübenkraut.“ So beschloss ich, diese klebrige schwarze Pampe auch nicht zu mögen. Aber die Bäuerin war schneller und hatte mein Brot schon mit diesem Zeug eingestrichen. Vorsichtshalber roch ich erst einmal daran. Gar nicht so übel! Noch vorsichtiger biss ich hinein……..Ohhhh! Es war das Beste, was ich in meinem, damals noch kurzem, Leben jemals gegessen hatte. Dieses leckere, duftende Brot und Rübenkraut, welches besser schmeckte als jede Marmelade.

Jüppken war wohl der gleichen Meinung und wir verputzten eine Schnitte Brot mit Rübenkraut nach der anderen. Nach einer Weile waren wir doch satt – nein, mehr als satt. Jüppken und ich gingen wieder hinaus in das „Abenteuerland Bauernhof.“ Für mich jedenfalls, denn Jüppken musste schon oft bei der Arbeit helfen. „Jüppken, komm, wir klettern hier in dein Versteck,“ sagte ich. Nee, dat geiht nich. Ich bin to fullgefretten un komm de Ledder nich men herop!“  Eigentlich ging es mir auch nicht besser und außerdem wurde ich schon zur Heimfahrt gerufen. Es war das letzte Mal, dass ich mit Jüppken so unbeschwert spielen konnte. Seine Krankheit schritt immer weiter fort. Jüppken, später nannte man ihn doch „Jupp,“ starb sehr jung. Außerdem wurden unsere Besuche immer seltener und als die Bauersleute verstorben waren, brach der Kontakt ganz ab.

 Ja, nun sitze ich heute in meinem Auto vor dem großen Eingangstor und sehe mir den Hof an. Das Backhaus existiert nicht mehr. An seiner Stelle steht dort ein moderner Schweinestall. Das schöne alte Gemäuer des Haupthauses wurde durch den Anbau eines neuen Wohnhauses, dem auch der Bauerngarten mit dem schmiedeeisernen Tor zum Opfer fiel, verunstaltet. Und auf dem Tisch steht sicher kein Rübenkraut mehr, sondern Nutella!

Auf meinem Nachhauseweg sah ich zum ersten Mal bewusst, was sich in den letzten Jahren verändert hat: Das große, weite Gelände aus Wiesen und Äckern heißt nun „Barkenberg.“ Der Napoleonsweg darf nur mit Fahrrädern befahren werden, was weiter nicht schlimm ist, aber man muss ihn erst einmal finden. Die Traktorwerkstatt gibt es auch nicht mehr. An dieser Stelle war jahrelang ein Autohaus. Nach dessen Umzug in ein neues, modernes Gebäude werden hier wieder Trecker verkauft, aber nur neue Maschinen für ganz spezielle Aufgaben.

 Zuhause angekommen war mein erster Weg zum Kühlschrank. Meine Frau fragte nur: „Was suchst du denn?“ „Rübenkraut!“

 „Rübenkraut????“

Werner Markus

Mäusezirkus

Sommer 1966! Ich war Starkstromelektriker im dritten Lehrjahr auf der Zeche Fürst Leopold in meiner Heimatstadt Dorsten an der Lippe. Zum Lehrplan gehörte auch eine sechsmonatige Ausbildungszeit im Untertagebetrieb. Ich war mit meinen Kollegen auf dem Weg zu meiner ersten Seilfahrt. Von der Kaue aus ging es zuerst in die Lampenstube um dort die Kopfleuchte und den CO-Selbstretter, der nur Sputnik genannt wurde, in Empfang zu nehmen.

Der schwere Akku der Lampe wurde am Lampengurt befestigt und den Sputnik hängte man über die Schulter. Außerdem hatte man noch ein mehr oder weniger großes Paket mit Pausenbroten und eine entsprechende Kaffeeflasche sowie einen Sitzgurt zu tragen. Gut bepackt gingen wir in Richtung Schacht.

Der Förderkorb kam und der Anschläger schob das Gitter zur Seite.

Etwa zehn Bergleute passten in den Korb. Der Anschläger schoss das Gitter und gab dem Fördermaschinisten per Glockenschlag das Zeichen, dass die nächste der vier Etagen des Korbes vorfahren kann. Nachdem der Förderkorb vollbesetzt war, wurde das Signal

„Seilfahrt hängen“ gegeben. Der Korb setzte sich erst langsam, dann immer schneller in Bewegung. Die Fahrt zur 3. Sohle in 800 Metern Tiefe dauerte nur wenige Minuten. Am Schacht wartete schon ein Steiger auf uns und nahm uns mit in die Elektrowerkstatt. Dort wurden wir verschiedenen Arbeitsgruppen zugeteilt. Ich kam zu einer Gruppe, die ein Hochspannungskabel zu einem Transformator ziehen musste. 

Unser Arbeitsplatz war jedoch einige Kilometer entfernt.

„Wir fahren mit dem Zug,“ sagte ein Kollege. Eine große Akkulok mit 20 Teckeln** stand abfahrbereit im Bahnhof. Jeweils zwei Mann bestiegen einen Teckel und hängten die Sitzgurte ein. Darauf saß man bequemer als in manchen Bundesbahnzügen.

Gut durchgeschüttelt erreichten wir unseren Einsatzort.

Zuerst wurde eine Pause eingelegt. Wir setzten uns auf die Gezähekisten*, die in Reih´ und Glied am Eingang zum Streb standen. Erstaunt sah ich, wie alle erfahrenen Bergleute ihre Brote mit Schießdraht*** umwickelten und an die Decke hängten. „Wegen der Mäuse,“ wurde ich aufgeklärt. „Wenn Du Deine Stullen nicht sicherst, sind sie weg.“ Ich hatte aber keinen Schießdraht. Was tun? Ich zog meine Jacke aus, verknotete einen Ärmel, schob die Stullen hinein und machte darüber noch einen Knoten und hängte die Jacke auf. Geniale Idee! – dachte ich jedenfalls.

Es ging an die Arbeit. Etwa 2 Stunden lang schoben und zogen wir das schwere Kabel in Richtung Trafo. Dann endlich Pause. Wir holten unsere Brote, das heißt: meine Kollegen holten ihre Brote. Von meiner Jacke hing ein Ärmel in Fetzen herunter und von meinen Broten war nur noch ein trauriger Rest übrig. Mäuse hatten sich durch den Ärmel gefressen um an meine Stullen zu kommen. „Diese Mistviecher,“ schimpfte ich. „Das sind ja kleine Raubtiere.“

Meine Kollegen hatten einen Riesenspaß. Ein Kollege sagte: „Jetzt pass mal auf!“ Er legte ein paar Brotkrumen auf ein Gleis und wartete ab. Es dauerte nicht lange, da tauchte eine Mäuseschar auf und ließ sich die Krumen schmecken. Dann nahm der Kollege einen Hammer und schlug einmal kräftig auf die Schiene. Die Mäuse sprangen gleichzeitig hoch in die Luft und verschwanden in ihren Verstecken. Da aber noch Brot auf dem Gleis lag, tauchten sie nach kurzer Zeit wieder auf um ihre Mahlzeit zu beenden. Möglicherweise haben sie auch gedacht, dass dieser Mensch sie eh’ nicht trifft.

Es begann das gleiche Schauspiel noch einmal von Vorn: Mäuse auf dem Gleis, Hammerschlag, Luftsprung und nichts wie weg. Das Spiel konnte man beliebig oft wiederholen. Taten wir aber nicht. Ich habe den armen Tieren mein restliches Brot gegeben, was sie auch dankbar annahmen. Meine restliche Pausenzeit verbrachte ich mit der Suche nach einem Stück Schießdraht.

* Gezähe = Werkzeug des Bergmanns

** Teckel = Kohlewagen

*** Untertage nennt man Sprengen Schießen. Mit Schießdraht werden die Sprengstoffhülsen mit dem Zündauslöser verbunden.