Susanne von den Driesch

Ein Lippemärchen

Vor langer, langer Zeit – unsere Erde war noch nicht ganz fertig, – kümmerte sich Pluvius, der Herr des Regens, um das Wasser auf unserem Planeten. Er formte riesige Meere und schuf Seen und Teiche. Doch mit besonders viel Sorgfalt und Liebe widmete er sich den Flüssen, Bächen und Rinnsalen. Zunächst fing er den Regen, der aus den Wolken, in seinen riesigen Händen auf, die er zu einer Schale geformt hatte. Waren sie gut gefüllt, öffnete er blitzschnell seine Handflächen und zog das Nass behände mit Daumen und Zeigefingern auseinander, bevor auch nur ein Tropfen hinunter rinnen konnte.Auf diese Weise fuhr er fort, bis er viele unterschiedlich lange und kurze, schmale und breite, goldschimmernde Wasserbänder erschaffen hatte. Eines dieser Bänder, war ihm besonders prachtvoll gelungen. Er nannte es Lippe. In einer sehr alten Sprache bedeutete das „Fließen“ oder „Gleiten“.

 Sorgsam legte er das Wasserband in phantasievollen Schleifen und Windungen auf dem Boden ab und achtete darauf, dass schöne runde Bögen entstanden und nichts abgeknickt wurde. An einem Ende des Bandes bohrte Pluvius mit seinem dicken Zeigefinger ein Loch in den Boden, bis er in acht Metern Tiefe auf Wasser stieß. Als das Wasser anfing zu sprudeln, formte er an der Oberfläche einen kleinen Teich mit einer hübschen Vertiefung, dem Strudeltopf, der wunderbar bläulich schimmerte. Dies war die Quelle der Lippe und sie versorgte das Wasserband stets mit frischem Nass. Viel, viel später bauten die Menschen an dieser Stelle eine Stadt, die es heute noch gibt und nannten sie: „Bad Lippspringe“!

 Das andere Ende des Lippebandes ließ Pluvius an einem viel größeren und mächtigeren seiner Bänder enden. Das war der Rhein. Beide Bänder waren jetzt miteinander verbunden und auch an dieser Stelle, der Lippemündung, gründeten die Menschen später eine Stadt, die sie „Wesel“ nannten. Das Wasser der Lippe floss nun ungehindert von der Quelle bis in den Rhein. Einige Tiere, so der Biber, die Libellen und viele Vögel, die gerne am Wasser leben wollten, kamen eifrig herbei, als sie von dem neuen Wasserband mit den schönen Bögen hörten und siedelten sich an den Ufern und in den Auen an.

 Die Fische, die das salzige Meerwasser nicht so gerne mochten, weil es ihnen in den Augen brannte, tummelten sich schon eine ganze Weile in den Seen und Teichen. Die Abenteuerlustigen unter ihnen langweilten sich in den ruhig stehenden Gewässern, in denen sie nur im Kreis herumschwimmen konnten. Als sie nun von den neuen Wasserbändern hörten, in denen es viel aufregender sein sollte, streckten sie ihre Köpfe heraus und riefen, man möge sie doch in diese neuen tollen Wasser setzen, in denen man nach Herzenslust schwimmen konnte.

 Pluvius kratzte sich an seinem langen Bart. Mmmh, vielleicht war das ja gar keine so schlechte Idee. So ein bisschen leer wirkten seine Flüsse und Bäche schon noch. Also bat er alle Fische, die umziehen wollten, sich in der Mitte ihrer Gewässer zu versammeln. Vorsichtig tauchte er seine riesigen Hände in den ersten Teich, formte sie zu einer Schale, hob die Fische vorsichtig heraus und setzte sie in die Wasserbänder um. Er beeilte sich, denn die Fische können ja nur im Wasser atmen, aber nicht an der Luft. Die kräftigsten Exemplare setzte er dorthin, wo Hindernisse übersprungen werden mussten und Strudel viel Kraft und Geschicklichkeit erforderten. So kamen auch Lachse und Forellen in die Lippe. Am Abend war Pluvius sehr erschöpft von der anstrengenden Arbeit auf der Erde, aber zufrieden mit seinem Tagwerk. Als es dunkel wurde und er längst eingeschlafen war, erwachten die Aale. Diese hatten von dem Angebot, in neue Flüsse umzuziehen, nichts mitbekommen, denn sie hatten den ganzen Tag im Meer geschlafen. Jetzt streckten sie ihre Köpfe aus dem Wasser und fingen so laut an zu jammern, das Pluvius erwachte. „Was hat denn dieses Gejaule zu bedeuten?“ fragte er verschlafen. Da klagten die Aale, dass er sie vergessen habe und sie auch einen Platz in seinen schönen neuen Wasserbändern haben wollten.

 Müde kratzte sich Pluvius an seinem Kinn. Er hatte überhaupt keine Lust, im Dunkeln noch einmal mit der Arbeit zu beginnen. Zudem wohnten die Aale auch ganz schön weit weg in der „Saragossasee“. Das liegt im Atlantik in der Nähe von Amerika. Jetzt war guter Rat teuer. Pluvius wollte die Aale nicht enttäuschen, denn er war ein sehr freundliches Wesen. Also lud er sie ein, in seine Flüsse zu kommen, aber sie sollten es ohne seine Hilfe tun. Die Aale freuten sich und machten sich gleich auf den Weg. Nach einiger Zeit erreichten sie tatsächlich die Lippe. Erst fanden sie es dort prima, denn an ruhigen Stellen konnten sie sich in den schlammigen Grund wühlen und es gab reichlich zu fressen. Doch als es an der Zeit war, für Nachkommen zu sorgen, und ihre Eier abzulegen, bekamen die Aale Sehnsucht nach ihrer alten Heimat. So machten sie sich auf den langen und beschwerlichen Rückweg in die Saragossasee. Als sie endlich dort angekommen waren, schafften sie es gerade noch mit letzter Kraft, ihre Eier zu legen. Dann starben sie an ihrem Geburtsort und sahen die Lippe nie wieder.

 Pluvius wurde darüber ein wenig traurig, doch die neugeborenen Aale machten sich erneut auf den Weg in Richtung Lippe. Und so sind aus den Aalen der Saragossasee Wanderaale geworden, und sie wandern bis heute immer zwischen Amerika und der Lippe hin und her. Wie es den anderen Tieren in und an der Lippe erging und warum der freundliche Pluvius eines Tages so wütend wurde, dass er den Menschen die Lippe wegnahm, ist eine andere Geschichte!

Edelgard Moers:

Die Seherin Veleda von der Lippe

Der römische Geschichtsschreiber Tacitus berichtete von einer Jungfrau mit dem Namen Veleda. Sie gehörte zum Stamm der Brukterer und lebte auf einer Anhöhe direkt an der Lippe. Die Bewohner von Haltern vereinnahmen Veleda heute für sich und sagen, dass sie auf dem Annaberg zu Hause gewesen sei. Die Dorstener wiederum meinen, dass der Hardtberg als Wohnsitz wohl in Frage käme. Aber das Geheimnis lässt sich heute nicht mehr lüften.

Überliefert ist aber, dass Veleda eine Druidin war, eine keltische Priesterin. Als solche verkündete sie, wie man glaubte, den Willen der Götter. Das Ansehen von Veleda stieg stetig, weil sie immer wieder den Germanen Glück und einen Sieg über die Römer prophezeite. Sie wurde als Seherin verehrt. Für ihre Weissagungen benutzte sie kleine Stäbe aus Buchenholz, die sie in die Höhe warf. Wenn diese Stäbe wieder auf den Boden zurückfielen, bildeten sie Zeichen und Runen, aus denen Veleda Deutungen ablesen konnte. Später ist daraus das Wort Buchstabe entstanden. Durch ihren Blick in die Zukunft rettete Veleda sogar die Stadt Köln vor der Zerstörung. Am hellen Tage mussten die Schiffe der geschlagenen Römer zurückfahren. Das von den Germanen erbeutete Flaggschiff wurde als Geschenk für Veleda lippeaufwärts transportiert. Die Sage erzählt, dass ihre Stammesmitglieder ihr einen Turm bauten, um die kluge und weissagende Frau zu schützen und auch um die Ehrfurcht vor ihr zu sichern. Nur zu ihren Verwandten hatte Veleda Kontakt und diese überbrachten Botschaften.

 Doch der römische Anführer Cerialis drang bis zu ihren Vertrauten vor. Er bot Veleda durch geheime Unterhändler den Frieden an. Sein Plan ging aber weiter. Er wollte, dass sein geschwächtes Römervolk mit hoffnungsvollen Weissagungen von Veleda aufgemuntert werden sollte. Cerialis schickte sogar eine Gesandtschaft mit Geschenken zu Veleda. Die Seherin ging aber nicht auf dieses unethische Ansinnen ein. Sie war nicht bestechlich und würde auch keine römerfreundlichen Weissagungen tätigen, wenn es nicht der Wille der Götter wäre. In ihrem Turm war sie nun nicht mehr sicher. Sie musste vor den Römern fliehen. Mehrmals wechselte sie ihren Wohnsitz. Schutz fand sie zunächst auf der Burg Aliso, einige Kilometer weiter flussaufwärts, später in einer Höhle im Sauerland an der Ruhr. Von dort aus verkündete sie noch viele Jahre ihre Blicke in die Zukunft.

Edelgard Moers

Als die Fische das Flusswasser nicht mehr mochten

Vor langer, langer Zeit lebten einmal eine Forelle und ein Barsch in der Lippe bei Dorsten. Oft schwammen die beiden Fische um die Wette. Kopfübertauchen war ein Spiel, das der muntere Barsch und die flinke Forelle gern spielten. Manchmal blieben beide auch regungslos am Ufer liegen, träumten und lauschten den Geräuschen des Flusses.

An vielen Stellen des Gewässers trafen sie andere Fische. Gemeinsam schwammen sie mal flussauf- und mal flussabwärts, immer fröhlich und zu Späßen aufgelegt. Allen machte es Freude, in dem kleinen Fluss zu leben.

Es war an einem Sommertag. Lange Zeit hatte es nicht mehr geregnet. Der kleine Fluss hatte wenig Wasser. Einige Fische stöhnten schon und wünschten sich ein kräftiges Gewitter. Mit der Strömung kamen plötzlich weitere Fische, die schrieen: “Schnell weg! Beeilt euch! Hilfe! Der Barsch erkannte eine schwarze Wolke im Wasser hinter ihnen. Voller Sorge sah er sich nach seiner Freundin, der Forelle um. Glücklicherweise erblickte er sie neben sich und gemeinsam schwammen sie mit der Strömung weiter.

Bald merkten alle Fische den fauligen Geschmack der schwarzen Brühe. “Brr!”, schimpfte der Barsch. “Mir wird ganz übel und schwindelig.” jammerte die sonst so muntere Forelle. Völlig erschöpft ruhten sich beide im Schilf aus. Nach einiger Zeit war die Aufregung vorbei. Die Tiere erholten sich langsam. Die schwarze Brühe floss weiter zum Meer. Den fauligen Geschmack bekamen die Fische in der nächsten Zeit noch häufiger in ihre Kiemen. Das Leben in dem kleinen Fluss war nun nicht mehr so vergnüglich wie früher. Auch war das Wasser nicht mehr so erfrischend. “Was kann man dagegen denn nur tun?”, fragte die Forelle. Der Barsch ließ den Kopf sinken und wusste keine Antwort.

Die Tage vergingen. Wieder und wieder waren sie dieser faulig schmeckenden Flüssigkeit ausgesetzt. Die Forelle und der Barsch waren schon so kraftlos geworden, dass sie sich nur noch im Schilf aufhielten. Sie jammerten und stöhnten. Ein kleiner Junge saß am Flussufer und wollte den Fischen zuschauen. Ein unangenehmer Geruch stieg ihm in die Nase. Es kam aus dem Wasser und was er hörte, beunruhigte ihn noch mehr. Er schaute nach, woher das Stöhnen kam. Da merkte er, dass es aus dem Schilf kam. Er hörte, wie der Barsch sagte: “Ich fühle mich so elend. Immer schwächer werde ich. Bald reißt mich die Strömung mit, weil ich keine Kraft mehr habe.” Die Forelle wimmerte: “In diesem fauligen Abwasser halten wir es nicht mehr lange aus. Mir ist so übel. Ich bekomme kaum noch Luft. Nein, sterben will ich noch nicht. Ich bin viel zu jung.”

Der Junge sah, dass den Tieren dicke Tränen über die Kiemen liefen. “Arme Fische!”, sagte er. “Wie kam es denn zu eurem Leid?” “Das ist eine lange Geschichte?”, sagte der Barsch traurig. “Ich will sie aber gern erzählen. Siehst du dort drüben die Schornsteine und das große Gebäude. Es sieht wie ein Ungeheuer aus. Jeden Tag, wenn die Turmuhr siebenmal schlägt, kommt aus der Fabrik eine faulige Flüssigkeit in unseren Fluss. Von dieser Flüssigkeit wird uns Fischen übel.” “Ja, die Brühe brennt entsetzlich in den Augen.” ergänzte die Forelle. “Wir versuchen dann immer wegzuschwimmen. Aber an anderen Stellen im Fluss ist es auch nicht besser.

“Ihr seid diesen Untaten wehrlos ausgeliefert.” stellte der Junge mitleidig fest. Er war entsetzt über die Grausamkeit der Menschen. Er konnte nicht fassen, wie verantwortungslos und gedankenlos Menschen ihre Umwelt zerstörten. Der kleine Junge schaute in die Richtung, wo das Fabrikgebäude stand. Bisher hatte er es ganz anders wahrgenommen. Sein Vater arbeitete dort und erzählte immer nur, dass dort wichtige Dinge hergestellt werden.

Jetzt aber starrte der Junge auf diese unheimlich wirkenden Schornsteine, die wie um die Wette qualmten. Die Forelle krümmte sich wieder vor Schmerzen und jammerte: “Wenn das nicht aufhört, geht es mit mir bald zu Ende.” Der Junge sah in ihre traurigen Augen und wünschte sich sehr, ihr, dem Barsch und den anderen armen Tieren helfen zu können. Er wusste nur nicht wie.

Da tauchte auf einmal unter lautem Getöse ein Wassermann aus der Tiefe auf. Alle erschraken. Der Wassermann hatte freundliche Augen und sagte mit sanfter Stimme: “Ich glaube, ich weiß einen Ausweg.” Das Gesicht des Jungen erhellte sich. Wie aus einem Munde fragten die Fische und er: “Ja, aber wie denn?” “Die Menschen haben das Unheil angerichtet.” sagte langsam der Wassermann. “Und nur sie können es wieder gut machen.” “Ach, die Menschen denken doch nur an ihre Fabrik und an das, was sie herstellen.” sagte der Barsch. “Sie wollen immer noch mehr produzieren. Immer mehr Abwässer leiten sie in den Fluss. An uns Fische denkt niemand.”

Mittlerweile versammelten sich viele Fische und lauschten den Worten des Wassermannes. Sie alle wollten wissen, wie ihnen geholfen werden könnte. Ganz leise, als wenn es kein anderer hören durfte, sagte der Wassermann: “Wenn um Punkt sieben Uhr die Abwässer eingeleitet werden, werden die verantwortlichen Fabrikbesitzer als Fische verwandelt zusammen mit dem Abwasser in den Fluss gespült. Ich habe aber nicht allein die Macht dazu, es durchzuführen. Die Macht dazu haben die Kinder. Nur, wenn die Wünsche und Träume aller Kinder ohne Zerstörungsdrang sind und in ihren Gedanken der feste Wunsch vorhanden ist, die Umwelt zu schützen, dann gelingt es.” “Ja, ganz bestimmt!”, rief der kleine Junge. “Kinder haben Pflanzen und Tiere gern. Sie würden ihnen kein Leid antun und sie jederzeit vor Gefahren beschützen.”

Plötzlich schlug die Turmuhr. Bim, bim, bim…”vier, fünf, sechs, sieben.” zählte der Barsch. “Gleich geht es wieder los.” warnte die Forelle. “Drückt euch eng ins Schilf! Haltet die Luft an!” In der Fabrik standen unterdessen der Inhaber und sein Mitarbeiter an den Schalthebeln der Klappen, die geöffnet waren. Plötzlich wurde ihnen ganz schwindelig und sie taumelten zur geöffneten Klappe. Wie von Geisterhand wurden sie in das Rohr gezogen und dann in den Fluss geschleudert. Erst als sie im Wasser waren, kamen sie wieder zu sich. Sie waren in Fische verwandelt worden.

Erschrocken sahen sie sich um. “Wie war so etwas möglich?” Aber bevor sie sich weiter Gedanken machen konnten, merkten sie die faulig schmeckenden und riechenden Abwässer an ihren Augen, an ihrem Maul, an den Schuppen und an ihren Flossen. Sie wollten um Hilfe rufen, aber als sie das Maul aufmachten, schluckten sie nur die scheußliche Flüssigkeit. Beiden wurden entsetzlich übel. Als sie ein Weilchen am Ufer entlang schwammen, kamen sie in eine Bucht, in der viel Schilf stand. “Da ist es etwas geschützt.” sagte der Fabrikinhaber. Jetzt erkannten sie auch die vielen Fische, die sich ebenfalls in Sicherheit gebracht hatten. “Lasst uns zu euch!”, bat der Mitarbeiter die Fische. Die Fische wussten sofort, dass es sich um die verwandelten Menschen handelte. Sie rückten enger zusammen und ließen die beiden in die Mitte. “In dem Wasser kann man ja gar nicht leben.” teilte der Fabrikbesitzer den Fischen mit. “Das hält kein Mensch – ich meine kein Fisch – aus.” Der Mitarbeiter fragte ängstlich: “Ist das immer so?” “Ja.” sagte der Barsch. “Wir bekommen kaum Luft.” Die Forelle jammerte wieder: “Mir ist seit Wochen übel. Ich kann nichts mehr zu mir nehmen und meine Augen brennen immerzu.” “Ich habe überall Entzündungen.” “Ich glaube, ich muss bald sterben.” “Ich bekomme kaum noch Luft.” stöhnten die anderen Fische durcheinander.

Da merkten die beiden Menschen aus der Fabrik, was sie angerichtet hatten. Nun hatten sie selbst Angst davor, hier in dem verschmutzten Fluss sterben zu müssen. Ihnen war der Ernst der Lage klar geworden. Sie hatten geglaubt, dass die Flüssigkeit im Wasser nichts ausrichten könnte. Doch jetzt sahen sie nicht nur die traurigen und schmerzverzerrten Gesichter der armen Fische, sondern sie spürten am eigenen Leibe, was sie nie bedacht hatten: In diesem Wasser war kein Leben mehr möglich.

“Ich weiß, was zu tun ist.” rief der Fabrikbesitzer seinem Mitarbeiter zu. “Wir können das schmutzige Wasser in einer Kläranlage auffangen. “Ja, geplant hatten wir sie schon lange. Aber die Kosten waren dafür zu hoch.” sagte dieser und fügte noch hinzu: “Ich weiß auch, wie man spezielle Filter bauen kann.” Sie hatten auf einmal großartige Ideen. Doch dann erinnerten sie sich daran, dass sie ja nur Fische waren. Alle Ideen würden sie nicht mehr verwirklichen und ihre Fehler nicht mehr gut machen können.

Während dieser Gedanken verspürten sie plötzlich ein Kribbeln im ganzen Körper. Auf einmal wuchsen ihnen wieder ihre Arme und Beine und ihr menschlicher Körper entstand wieder. Ihr Umdenken hatte den Zauber gelöst. Schnell kletterten sie an das Ufer. Sie spuckten noch den fauligen Geschmack des Flusswassers aus und liefen so schnell sie konnten zu ihrer Fabrik.

In ihrem Denken und Handeln waren sie nicht mehr dieselben Menschen wie früher. Sie sahen die Welt mit anderen Augen. Eine innere Kraft trieb sie an. Nach wenigen Tagen wurde das Wasser des kleinen Flusses klarer und roch auch nicht mehr so faulig. Die Fische erholten sich langsam von ihren Krankheiten und fühlten sich wohl. Der muntere Barsch und die flinke Forelle schwammen wieder gemeinsam an den Flussschnellen herum und machten Kopfsprünge.

Der Fabrikbesitzer und sein Mitarbeiter gingen jeden Tag zum kleinen Fluss, um die Tiere zu beobachten. Immer wenn sie feststellten, dass die Fische zufrieden waren, freuten sie sich. Am glücklichsten aber war der kleine Junge. Er wusste nun, dass mit ihm alle Kinder den festen Willen haben, Fischen und der gesamten Umwelt zu helfen. Und wenn die Fische nicht gestorben sind, dann schwimmen sie noch heute munter in der Lippe bei Dorsten herum.

 Aus: Edelgard Moers: Kreative Lesestunden. Klasse 3 und 4. Fertige Stunden mit Materialien zur Förderung von Lesekompetenz und Lesemotivation im Fach Deutsch. Auer Verlag, Augsburg,  1. Auflage 2019, Seite 57-60

 

Christel Blüggel

Die Lippe

Unsere Lippe, ist ein kleines, beschauliches Flüsschen. Sie entspringt als Rinnsal in Bad Lipp Springe, wo es eigentlich überall aus der Erde sprudelt. Aber eben dieses kleine Flüsschen machte sich auf den Weg und kam an vielen Orten vorbei und wurde von der Bevölkerung als Lebensspender betrachtet.

Es war die Zeit als auch Römer in Dorsten an der Lippe in einem kleinen Zusammenhalt lebten ……..

Sie waren zwei Mädchen, die sich schon seit einer sehr langen Zeit kannten; eine davon sollte in nächster Zeit die Hochzeit mit ihrem Versprochenen feiern. Wie immer machten sie sich auf den Weg durch ein kleines Wäldchen um an der Lippe Wäsche zu waschen. Irgend etwas an diesem Tag schien anders zu sein, es war totenstill, kein Vogel sang , nur der Wind rauschte durch die Baumkronen.

 Da lag er, mitten auf einer Lichtung. Tot. Er hatte keine Verletzung, aber er sah sehr alt und zerfurcht aus. Seine Kleidung war nicht mehr die Beste und er trug einen kleinen Beutel um seinen Leib gebunden. Ratlos und voller Angst wussten sie nicht was sie machen sollten.  Und es könnten ja noch andere Männer aus dem Gebüsch kommen. Sie entschlossen sich, schnell einen Blick in den Beutel zu werfen und dann weiter zu gehen. Dem alten Mann konnten sie sowieso nicht mehr helfen. Eine der beiden schaute um sich und die andere löste den Beutel von seinem Leib. Eilig gingen sie erst einmal in eine sichere Entfernung, ehe sie es wagten, in das Säckchen zu schauen.  Sie glaubten kaum ihren Augen zu trauen. Dass der Beutel schwer war, hatten sie schon bemerkt; aber dass er mit Goldmünzen gefüllt war, machte ihnen jetzt Angst. Was ist, wenn den Alten jemand vermisst oder auf ihn wartete…….Erstaunt , ängstlich und überrascht über ihren Fund mussten sie eine Lösung finden .

 Da sie zum Wäsche waschen auf dem Weg zur Lippe waren, verstauten sie zunächst den Beutel im Korb unter der Wäsche und hatten so fürs Erste eine Lösung gefunden. Sie gingen nun so vergnügt wie immer zum Wäschewaschen und vergaßen auch nicht ein Lied zu singen, so wie sie es immer taten. Beim Waschen schmiedeten sie dann ihren Plan. Sie konnten unmöglich mit diesem Reichtum zurückkehren. Man würde sie sofort anklagen und bestrafen. Doch für eine der Beiden kamen die Münzen ganz Recht. Denn Ihre Hochzeit sollte bald gefeiert werden. Aber es war schier unmöglich, als Magd in dem Besitz eines solchen Vermögens zu sein. Selbst nachdem sie es geteilt hätten , wäre es so viel, dass es nie in einem ganzes Leben zu erwirtschaften gewesen wäre. Sie beschlossen, es an einer sicheren Stelle zu vergraben und nur in Notzeiten einen Weg zu finden, es einzutauschen.

Sie hatten ihren Schatz gut vergraben und ihre Wäsche gewaschen, als sie wieder in ihrem Dorf ankamen. Keiner nahm großartig Notiz von den beiden, so dass sie sich sicher fühlten. Am folgenden Tag sollte Hochzeit gefeiert werden. Es herrschte fröhliches Treiben. Es wurde gejagt, um einen ordentlichen Braten für die Hochzeitsgesellschaft zu besorgen, die Frauen sammelten Kräuter und andere nähten die Garderobe des jungen Paares. Schon seit einiger Zeit machte der Bräutigam des Öfteren eine Bemerkung, es solle der Braut an nichts mangeln und er wolle ihr jeden Wunsch von Augen ablesen.

 Plötzlich kamen die Jäger anstatt mit einem fetten Braten, mit einem alten toten Mann zurück. Es war genau der, den die beiden Mädchen einen Tag zuvor auf der Lichtung mit dem Goldbeutel um den Bauch gefunden hatten. Furcht stieg in ihnen hoch, doch in der Aufregung aller fiel das niemandem auf. Großes Erstaunen machte sich über der Toten breit, bis plötzlich der Bräutigam eintraf. Er erschrak, ging näher an den Toten heran und suchte ihn ab. Der erstaunten Hochzeitsgesellschaft erklärte er , dass es sich um einen Verwandten handele und er ihn als Überraschungsgast vorstellen wollte. Er untersuchte ihn sehr eingehend, schien aber nicht zu finden, was er suchte . Misstrauen stieg in ihm hoch; die beiden Mädchen bemerkten es. Doch wie sollten sie sich jetzt verhalten? Mit dem Tod des Alten hatten sie nichts zu tun, nur sein Gold hatten sie an sich  genommen. Jetzt wäre es der Braut zu Gute gekommen, aber nun kann sie es  nicht erklären, ohne zu befürchten, dass ihr niemand glaubt und die Gemeinschaft sie zum Teufel jagt. Der Bräutigam fragte die Jagdgesellschaft, ob der Fremde etwas bei sich getragen habe, doch alle antworteten so ehrlich, dass er keinen Verdacht hegte.

 Noch in der folgenden Nacht gab es ein schweres Unwetter und es regnete über viele Tage sintflutartig. Die Lippe stieg über die Ufer und überschwemmte die Felder der Umgebung. Die Hochzeit wurde verschoben, bis wieder bessere Zeiten ins Land ziehen würden. Das Gold haben die Mädchen nicht mehr wieder gefunden……….

So passierte es vor noch nicht all zu langer Zeit, dass ein junges Paar mit seinen Kindern an die Lippe fuhr und sich nach einem schönen Picknickplatz umschaute , wo vielleicht auch die Kinder ein paar Schritte ins kühle Nass der Lippe  wagen konnten. Nicht weit vor ihnen lag an einer Wegbiegung eine seichte Stelle, die es erlaubte, den Kindern ihren heiß ersehnten Spaß zu gönnen. Sie planschten und stauten sich kleine Wasserdämme mit den Steinen, die sie im Wasser fanden. Plötzlich rief eines der Kinder dem Vater zu, „Schau mal, ich habe einen Schatz gefunden!“. Dieser schaute skeptisch, aber nach genauerem überprüfen musste er seinem Sohn recht geben.

Ob es nun eine von den Münzen der beiden Mädchen war, das sei dahingestellt. Doch Leben gibt es an der Lippe schon seit Menschengedenken und Münzen oder andere Zeugen der Vergangenheit werden wir wohl weiter an den Ufern dieses alten Flusses finden.

Genießen wir einfach die herrliche Natur an der Lippe.  Und vielleicht findet ja irgendwann jemand den richtigen Schatz der beiden Mädchen.